
Sogar oder gerade auch eine gewisse Unzufriedenheit sowie das Leiden sind Zustände, die uns als Menschen zu etwas inspirieren können (um diesen Zustand zu überwinden). Es sind nicht die optimalen Bedingungen, die uns zum Umdenken anregen – die uns gerade dazu zwingen. Das Leiden ist wie das Fragen. Beim Fragen leiden wir unter dem Nicht-Verstehen, wir stehen im Ungleichgewicht zu unserer Welt und wir sind motiviert nach einer Antwort zu suchen. Beim Leiden haben wir schon ein Problem erkannt – wir sehen (und spüren!) die Gefängnisstangen, die uns einsperren und sind inspiriert auszubrechen aus einer Welt, die uns einengt, weil wir die Möglichkeiten sehen, die außerhalb dieser Gefängniszelle stehen. Durch die Inspiration können wir diese Möglichkeiten außerhalb der gegenwärtigen Welt erkennen. Ein Gefängnis kann alles sein, worunter wir leiden. Wir befreien uns aus der platonischen Höhle, aus dem Gefängnis, indem wir inspiriert sind von einem Ziel, das außerhalb dieser Grenzen steht. Nur eine inspirierte Seele kann sich aus diesem Gefängnis befreien – inspiriert von der Vorstellung, dass es außerhalb der Höhle etwas geben könnte. Das Leiden ist schon der Anfang der Inspiration – wer leidet, ist dazu angeregt seine Höhle zu verlassen. Wer unter dem Gefängnis nicht leidet, glaubt er sei frei, weil er die Gitterstäbe nicht wahrnimmt, und hat keine Chance, sich zu befreien.
Aber jeder hat eine sehr persönliche und individuelle Vorstellung von Freiheit, was das Gefängnis relativiert und abhängig macht vom Willen des Menschen. Durch einen Willen, der sich auf etwas bezieht, das im gegenwärtigen Zustand nicht erreichbar ist (=Ziel), sperrt sich der Mensch selbst in ein Gefängnis. Vielleicht ist der Mensch bereits frei, doch er selbst baut sich sein Gefängnis auf – vielleicht nur um sich wieder aus diesem zu befreien!? Denn nur wer ein Problem erkennt in der Welt, leidet darunter und ist gefangen, um dann die Lösung zu finden und sich zu befreien. Nur so kann sich der Mensch weiterentwickeln. Wer aber ständig eine künstlich erzeugte Wahrnehmung der Zufriedenheit und Sättigung durch suchterzeugende Handlungen oder Stoffe herbeiführt, zerstört den Antrieb (Inspiration), um aus diesem Gefängnis zu entkommen. Zufriedenheit sollte deshalb auch immer hinterfragt werden, denn sie ist in positiver Weise das Ziel unserer Handlungen, aber in negativer Weise auch die Stagnation vor dem Ziel.
Wenn beispielsweise ein dicker Mensch, aus freiem Willen sich dafür entscheidet etwas Gewicht abzunehmen, wird er in seinem Vorhaben anfangs auf die Schwierigkeit stoßen, dass er sich doch immer dann zufrieden fühlt, wenn er viel isst und Limonade trinkt. Wenn er seine Handlung nun von der unmittelbaren Zufriedenheit abhängig macht, wird er nie seinem Gefängnis entkommen, um sein Ziel zu erreichen. Erst wenn er die Gitterstäbe (Probleme), die ihn ständig aufhalten, bewusst wahrnimmt, weil er inspiriert ist von den Möglichkeiten außerhalb dieses Gefängnisses (seiner Gewohnheit), und sich von seiner produktiven Unzufriedenheit persönlich inspirieren lässt, kann er seinen gegenwärtigen Zustand überwinden, weil er nun sogar bereit ist dafür zu leiden, zu kämpfen, um seine kreative Vorstellung und Vision von sich selbst, die hinter den Gefängnisstangen liegt, zu erreichen – und damit einen Zustand der wahren Zufriedenheit, welcher auch tatsächlich mit dem freien Willen des Menschen harmonisiert – das heißt, im Einklang ist, mit sich selbst! Der kreative Weg dorthin, kann aber einen langen Marathon darstellen.
Ein Künstler malt in einem langen kreativen Prozess ein großes Gemälde, weil er schon zuvor inspiriert ist von seiner Vorstellung des Bildes – und malt so lange weiter bis seine Vorstellung mit dem Bild übereinstimmt.